Kennst du das wohltuende Gefühl, wenn du jemandem dein Herz ausschüttest und dein Gegenüber ist einfach nur da und hört zu? Gibt keine Ratschläge, lenkt nicht ab, indem sie in tröstender Absicht den Blick auf das richtet, was gut ist? Vielleicht sagt er oder sie sowas wie „Das verstehe ich“ oder „Ja, das ist schwierig“.
Wir möchten als Menschen von anderen Menschen gesehen und verstanden werden. Dann fühlen wir uns richtig und zugehörig.
In diesem Blog schreibe ich darüber, wie essentiell dieses grundlegende Gefühl von Zugehörigkeit und Verbundenheit auch für die Heilung von traumatischen Erlebnissen ist. Dafür gibt es mittlerweile sogar neurophysiologische Erklärungen.
Die Präsenz der Therapeutin bei schmerzlichen Erinnerungen und ihre Validierung deiner Erfahrungen, sind wichtige Elemente des Heilungsprozesses.
Außerdem möchte ich dir von zwei ganz unterschiedlichen Beispielen erzählen, die unterstreichen, wie heilsam Verbindung sein kann.
Was ist ein Trauma?
Traumatische Erfahrungen erschüttern dich. Ein einzelnes, bedrohliches Ereignis, wie ein Unfall, kann ein sogenanntes Schocktrauma verursachen und dich völlig überwältigt zurücklassen.
Wiederholte schwierige Erfahrungen in deiner Kindheit, die die Bindung zu deinen Eltern beeinträchtigen, manifestieren sich als Entwicklungstrauma und untergraben deine innere Gewissheit, gut und richtig zu sein.
Ein Trauma ist nicht das Erlebnis als solches, sondern das, was dieses Erlebnis in dir anrichtet. Ein Trauma ist der entstandene Schrecken in dir, ein Gefühl von Hilflosigkeit und alleine damit zu sein.
Wirklich wichtig ist nicht nur, was der Person widerfahren ist, sondern was sie in sich hält in der Abwesenheit eines verbundenen, empathischen und präsenten Anderen.
Peter Levine, An Autobiography of Trauma
Traumaheilung durch Verbundenheit und Sicherheit
Wie können traumatische Erfahrungen heilen? Wie kannst du deine Lebensfreude zurückgewinnen? Wie kannst du wieder Vertrauen in dich und die Welt fassen? Wie kannst du chronische Schmerzen oder andere Symptome überwinden?
Das, was wir Menschen brauchen, um gesund zu bleiben oder zu gesunden, ist das nährende Gefühl von
- Verbundenheit mit anderen Menschen;
- angenommen werden, so wie wir sind;
- Zugehörigkeit.
Fühlst du dich verbunden, dann fühlst du dich sicher. Schon in grauer Vorzeit war ein Überleben außerhalb der Gruppe kaum möglich. Sicherheit entsteht, wenn dein Level an empfundener Bedrohung abnimmt. Die empfundene Bedrohung wird jedoch nicht zwangsläufig weniger durch die Abwesenheit von Gefahr. Sie wird weniger durch ein Gefühl der Bindung zu anderen Menschen oder manchmal auch Tieren.
Wir heilen in Gemeinschaft, nicht für uns alleine. Wir heilen, wenn es Menschen gibt, die zu uns stehen, die uns sehen in unserem Schmerz, ohne uns zu verurteilen und ohne uns und unsere Empfindung in Frage zu stellen.
Neurophysiologische Erkenntnisse zu gefühlter Sicherheit und Verbundenheit
Seit Stephen Porges die Polyvagaltheorie formuliert hat, ist auch neurophysiologisch erklärbar, wieso Gemeinschaft so heilsam ist. Seine langjährige Forschung wirft ein völlig neues Licht auf das autonome Nervensystem (ANS).
Porges erkannte, dass dein ANS ständig auf der Suche nach Hinweisen ist, die auf Gefahr oder Sicherheit hindeuten. Diese Hinweise können von außen kommen, etwa durch einen lauten Knall, aber ebenso aus deinem Inneren. Angespannte Muskulatur und flache Atmung interpretiert dein ANS als „da ist was bedrohlich“.
Er prägte den Begriff vom Social Engagement System, dem System für soziale Verbundenheit. Das wird angesprochen, wenn ein bestimmter Teil deines ANS aktiv ist, gemeint ist hier der ventrale Vagusnerv. Der ventral Vagus unterstützt Heilung und Wachstum. Hier funktionieren all deine Organe und dein Immunsystem optimal. Hier erlebst du Sicherheit und kannst in Kontakt und in Verbindungen mit anderen Menschen gehen.
Trauma führt dazu, dass andere Teile deines autonomen Nervensystems überwiegend aktiv sind und erschwert den Zugang zum ventralen Vagus.
Porges fand ebenfalls heraus, dass unsere Nervensysteme miteinander kommunizieren und spricht in diesem Zusammenhang von Co-Regulation. Vor allem Babys und kleine Kinder sind darauf angewiesen, von Eltern oder Betreuern co-reguliert zu werden, weil sie sich noch nicht alleine beruhigen können. Als Erwachsene profitierst du ebenso von Co-Regulation, wenn dein Gegenüber ruhig und gelassen ist.
Die heilsame Kraft von Raum halten und Validieren
Therapieübergreifend ist man sich einig, dass der Kontakt zwischen Therapeutin und Klientin eine wichtige Komponente für Veränderung und Heilung ist.
Guter Kontakt ist möglich, wenn die Therapeutin in einer Sitzung den Raum für dich hält. Das heißt, sie ist präsent, sie ist da als Mensch mit dir als Mensch, sie hört dir zu und geht mit dir durch das Schwere. Scheut die Therapeutin, unbewusst, vor schmerzlichen Erfahrungen zurück, so nimmst du als Klientin das instinktiv wahr und hältst dich ebenfalls zurück. Das schränkt auch den tiefen Kontakt zu dir selbst und zu deinen Erfahrungen ein.
Validierung ist ein überaus wichtiger Bestandteil von Therapie. Validierung heißt
- Ich glaube dir;
- Deine Gefühle sind echt;
- Es macht Sinn, dass du dich so fühlst;
- Du darfst dich so fühlen;
- Ich interessiere mich für Dich;
- Ich werte nicht;
- Ich bin hier.

Indigene Völker: geteiltes Leid ist halbes Leid
Peter Levine, der die Traumatherapie Somatic Experiencing entwickelt hat, erzählt in seiner Autobiographie „An Autobiography of Trauma“ vom Umgang indigener Völker mit Trauma.
Was mich daran so fasziniert, ist die Mitverantwortung, die die Gemeinschaft übernimmt. Die Betroffenen müssen nicht alleine mit ihrem Schmerz klarkommen. Wissend, dass ungeheilte Verletzungen eines einzelnen, Auswirkungen auf das Wohlergehen der gesamten Gruppe haben, nehmen alle Anteil.
Zwei Beispiele möchte ich hier aufgreifen:
Eine Frau, die den Verlust ihrer Kinder betrauerte, hielt sich während abendlicher, ritueller Tänze am Rande. Eines Abends trat sie in den Kreis der Tanzenden. Peter Levine schreibt:
„Es schien, als ob alle zu weinen begannen, und die junge Frau brach in herzzerreißende Tränen der Trauer aus. Ihre Depression löste sich auf, und danach nahm sie am rituellen Tanz teil.“
Peter Levine, An Autobiography of Trauma
In einem weiteren Beispiel spricht Peter Levine von traditionellen Zeremonien der Navajos, um Kriegsveteranen – damals aus dem Vietnamkrieg – wieder in den Stamm zu integrieren. Den Navajos war klar, dass die Kriegstraumata adressiert werden mussten, andernfalls trügen die Familien und das Dorf ebenso die Last dieser ungeheilten Verletzungen.
Hilfsbereitschaft nach der Flutkatastrophe an der Ahr
Anlässlich des dritten Jahrestags der Flutkatastrophe vom 14. Juli 2021 wurde im Deutschlandfunk die Journalistin Felicitas Boeselager interviewt. Selbst von der Ahr stammend, sprach sie darüber, wie die Katastrophe das Leben der Menschen verändert und in ein vorher und nachher geteilt hat. Nach wie vor falle es den Menschen schwer zu begreifen, was passiert ist.
Neben all dem Schlimmen ist auch heute noch die große Hilfsbereitschaft und Menschlichkeit vieler Fremder unvergessen. Diese Anteilnahme und die Unterstützung von Menschen, die man zuvor nicht kannte, habe Betroffene tief berührt. Die Helfer hätten die Hoffnung zurück ins Tal gebracht: tiefe Freundschaften und sogar Ehen seien daraus entstanden.
Trauma heilen durch Verbundenheit: das geht alle an
Trauma bedeutet übersetzt Wunde und diese Wunde heilt nicht von alleine, sie braucht Pflege. Ein wichtiger Bestandteil für deinen Heilungsprozess ist das Gefühl gesehen zu werden und richtig zu sein, mit dem, was du empfindest. Dadurch entstehen Verbundenheit und Sicherheit und du lernst, dir selbst wieder zu vertrauen.
Ein Trauma verändert dich und das hat Auswirkungen auf dein Umfeld. Das geht alle an! Ich bin überzeugt davon, dass die Welt ein friedlicherer Ort sein könnte, wären mehr Menschen bereit, sich ihre Wunden anzuschauen und sich auf einen Heilungsweg zu begeben.
Wie sind deine Gedanken und Erfahrungen dazu? Schreib es mir gerne in die Kommentare!