Mein Sachbuch hieße: Trauma verstehen: Wege zur Heilung!

Eva Heer’s Frage „Welches Sachbuch möchtest du schreiben?“ und die Einladung, an ihrer Blogparade teilzunehmen, hat mich gleich angesprochen. Mein Sachbuch hieße „Trauma verstehen: Wege zur Heilung!“

Warum ist es mir so wichtig, das Wissen um Trauma in die Welt zu tragen?

Viele Menschen leiden unter chronischen körperlichen oder seelischen Beschwerden, haben Schwierigkeiten Emotionen zuzulassen oder tiefe Verbindungen zu anderen einzugehen. Da sie ihre Kindheit oder spätere Erfahrungen nicht mit Trauma in Verbindung bringen, werden auch Symptome nicht als Traumafolgen verstanden.

Dabei ist Trauma ein Bestandteil unseres Lebens und beschränkt sich nicht auf schreckliche Erlebnisse im Krieg. Trauma kann sich aus alltäglichen Erfahrungen entwickeln, vor allem aus Erfahrungen in deiner Kindheit. Das mag alles schon lange her sein, dein Körper bereitet sich aber immer noch darauf vor, sich zu verteidigen.

Um deinen Körper zu vermitteln, dass er jetzt in Sicherheit ist, braucht es körperorientierte Therapieansätze wie Somatic Experiencing (SE).

Mich fasziniert der neurobiologische Aspekt von Trauma und, dass die Wissenschaft den Einfluss deines Körper auf dein Denken, Fühlen und Verhalten mehr und mehr belegt.

Kürzlich bin ich auf ein Essay mit der Überschrift „Wie der Dualismus von Descartes unsere geistige Gesundheit ruinierte“ von James Barnes gestoßen. Das spricht mir total aus der Seele. Ihr erinnert euch an den berühmten Satz von Descartes „Ich denke, also bin ich!“, der die Illusion einer Trennung von Körper und Geist manifestiert hat, die sich in manchen Köpfen auch heute noch hält?

Dem gegenüber steht der Satz von Dr. Stephen Porges, dem Begründer der Polyvagaltheorie: „Ich fühle, also bin ich!“ Den finde ich wunderbar und auf dieser Basis kann Heilung und Entschämung geschehen. Davon profitierte nicht nur der einzelne, sondern unsere Gesellschaft ingesamt.

Trauma: eine Dysregulation in deinem autonomen Nervensystem

Grundsätzlich wechselt dein autonomes Nervensystem flexibel zwischen An- und Entspannung. Wird eine Bedrohung wahrgenommen, geht es darum, dich mit Energie zu versorgen, damit du die Situation meistern kannst. Dafür schüttet dein Körper u. a. Stresshormone aus und sorgt für stärkere Durchblutung deiner Muskeln. Diese Stressreaktion ist im Prinzip immer die gleiche, egal ob du zum Zahnarzt gehst, eine Präsentation halten musst oder Streit mit deinem Nachbarn hast. Ist die Situation vorüber oder der Streit beigelegt, entspannt sich dein Körper wieder.

Durch ein Trauma geht diese Fähigkeit der Selbstregulation verloren. Das Problem ist nicht, dass du in eine Anspannung gerätst, das Problem besteht darin, dass du kaum mehr herauskommst. Dein Körper versteht nicht, dass die Gefahr wirklich vorüber ist und bleibt in einem alarmierten Zustand hängen. Die ständige innere Anspannung, die die Folge davon ist, kann langfristig unterschiedlichste gesundheitliche Auswirkungen haben.

Warum werden Tiere in freier Wildbahn trotz Lebensgefahr nicht traumatisiert?

Dieser Frage ging Dr. Peter A. Levine, der die Traumatherapie Somatic Experiencing entwickelt hat, vor vielen Jahren nach. Seine Forschungen ergaben, dass Säugetiere mobilisierte Überlebensenergie entladen, wenn die bedrohliche Situation vorüber ist.

Tiere, ebenso wie Menschen, reagieren auf Bedrohung mit Flucht, Kampf oder Erstarrung. Erstarrung ist dabei die letzte, defensive, Verteidigungsoption, wenn Kampf oder Flucht nicht möglich sind. Obwohl Erstarrung durch die Bewegungslosigkeit äußerlich ruhig anmutet, ist das Tier innerlich in höchster Alarmierung.

Eine Antilope, die von einem Geparden gefaßt wird, verfällt in eine völlige Bewegungslosigkeit (Erstarrung). Wird der Gepard gestört und läßt er von ihr ab, ehe er sie tatsächlich töten kann, vielleicht weil sich eine Hyäne anschleicht, kann die Antilope diesen Augenblick der Ablenkung zur Flucht nutzen. Bevor sie wegläuft, steht sie sekundenlang da und zittert die erlebte Bedrohung ab. Diese Entladung und die Vollendung der Flucht senden auf der biologischen Ebene Signale an das autonome Nervensystem, dass keine weitere Gefahr mehr droht. Das Tier entspannt sich wieder.

Können Menschen traumatischen Stress entladen?

Wir Menschen haben die gleichen Fähigkeiten der Entladung von traumatischem Stress, die durch Zittern, Zucken, Tränen oder Gähnen erfolgen kann. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Bedrohung durch Eltern, die deine Bedürfnisse regelmäßig ignorieren, einen Geparden, einen Unfall oder deinen Chef ausgelöst wird, der dich vor den KollegInnen runtermacht.

Häufig fehlt uns das Wissen über diese instinktiven körperlichen Reaktionen und vielen Menschen fällt es schwer, ihren Körper und seine Bedürfnisse wahrzunehmen.

Ist die Angst zu lähmend unterbricht das den biologischen Prozess. Oder dein Verstand, der dein Verhalten auf Außenwirkung hin überprüft, erzählt dir: zittern oder weinen ist peinlich, unterdrück das lieber.

Durch diese Unterbrechung der biologischen Stressreaktion, versteht dein Körper nicht, dass die Gefahr vorüber ist. Du kannst es vergleichen mit der Installation eines Updates auf deinem PC: du kannst alle Häckchen setzen, wenn du am Ende nicht auf „aktualisieren“ drückst, bleibt alles beim Alten. Aktualisierung im übertragenen Sinne bedeutet, nicht nur dein Verstand weiß es, sondern dein Körper und dein autonomen Nervensystems wissen ebenso, dass keine weiteren Verteidungsmaßnahmen notwendig sind.

Welche Ereignisse verursachen ein Trauma?

Ein sogenanntes Schocktrauma entsteht durch einmalige Ereignisse, die dich in große Angst versetzen, beispielsweise einen Unfall, einen Überfall, eine Umweltkatastrophe. Es geschieht zu viel, zu schnell, zu plötzlich und dein Gehirn kann all das nicht verarbeiten.

Ein Entwicklungstrauma entsteht durch körperlichen, sexuellen oder emotionalen Missbrauch oder Vernachlässigung in der Kindheit.

Ein Entwicklungstrauma entsteht ebenso durch die Abwesenheit von Sicherheit, Fürsorge, gesehen werden. Viele von uns sind, in unterschiedlichem Ausmaß, betroffen von der oft lieblosen Erziehung, die auch viele Jahre nach dem Krieg noch an der Tagesordnung war und die Bedürfnisse von Kindern völlig ignoriert hat.

Entwicklungstrauma durch Erziehung

In einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung wurde die österreichische Schriftstellerin Marlene Streeruwitz darauf angesprochen, dass sie die heute Lebenden mal eingeteilt habe in die, die man als Babys schreien ließ und die, die hochgenommen wurden. Den Unterschied und seine Bedeutung sieht sie so:

Die haben eine Grundkraft, ein Vertrauen in sich. Sie haben weniger Angst. Bei ihnen gab es eine Ermöglichung, und die wird bei vielen Leuten zu wunderbaren Dingen führen…

Für das Leben in einer so unsteten Welt brauchen wir Personen, die nicht weinen gelassen wurden als Babys…

Noch viele Jahre nach dem Krieg war es üblich, liebevolles Verhalten mit Verwöhnen gleichzusetzen. Kinder hatten zu funktionieren, ihre Bedürfnisse wurden wenig ernst genommen. Dieses nicht verwöhnen wollen, führte nachgerade zu einer gesellschaftlich legitimierten Gewalt gegenüber Kindern: Babys schreien zu lassen, bis sie vor Erschöpfung oder Verzweiflung aufhörten zu weinen oder Kinder im Krankenhaus zu behandeln, ohne dass sie Besuch von ihren Eltern haben durften – heute unvorstellbar.

Viele Eltern waren ja nicht lieblos, sie wollten es richtig machen und haben es selbst oft nicht anderes kennengelernt.

Der Geist dieses Erziehungsstils drückt sich aus in Sätzen wie

  • Schreien lassen kräftigt die Lunge;
  • Babys muss man nur alle 4 Stunden füttern;
  • Das Kind soll nicht dauernd auf den Arm genommen werden;
  • Kinder sollen nicht verwöhnt werden;
  • Mädchen haben lieb und nett zu sein;
  • Indianer kennen keinen Schmerz;
  • Kinder, die was wollen, die kriegen was auf die Bollen;
  • bis hin zu: Eine Ohrfeige / Tracht Prügel hat noch keinem geschadet!

Gesundheitliche Folgen von Trauma

Viele Studien, allen voran die ACE-Studie, zeigen einen eindeutigen Zusammenhang auf zwischen frühem und anhaltendem kindlichen Stress und späteren Gesundheitsproblemen.

Chronische Symptome wie Anspannung oder Schmerzen, Autoimmunerkrankungen, Schlaflosigkeit, Ängste, Depressionen und Beziehungsprobleme sind weit verbreitet. Dir deine eigene Geschichte einmal unter dem Aspekt von dysregulierenden Erfahrungen anzuschauen, kann dir neue Einsichten verschaffen.

Trauma ist die am meisten vermiedene, ignorierte, verleugnete, missverstandene
und unbehandelte Ursache menschlichen Leidens.

Dr. Peter A. Levine

Warum es sich lohnt, mein Buch zu lesen!

  • du lernst dich selbst besser kennen;
  • du erkennst, dass du nicht einfach nun mal so bist wie du bist, sondern dass du mit deinen Verhaltensmustern eine früh als sinnvoll erlebte Bewältigungsstrategie weiterlebst;
  • du verstehst, dass mit dir nichts falsch ist, sondern dass dein Körper normal auf unnormale Ereignisse reagiert;
  • dieses Verständnis gibt dir Orientierung und Selbstermächtigung;
  • du entwickelst mehr Selbstmitgefühl;
  • du glaubst deinem innerer Kritiker nicht mehr alles;
  • du verstehst, wie wichtig dein Körper und dein autonomes Nervensystems für deinen Heilungsweg sind;
  • du öffnest dich für Behandlungsansätze, die deinem Körper helfen, sich wieder sicher zu fühlen, wie z. B. Somatic Exeriencing;
  • du verstehst wie wichtig präventive Gesundheitsvorsorge ist;
  • das Wissen um das Nervensystem hilft dir im Alltag im Kontakt mit anderen Menschen.

Fazit: Trauma verstehen hilft heilen

Traumata sind auch hier in Deutschland weit verbreitet und können über Generationen weitergegeben werden. Es lohnt sich, dich damit auseinanderzusetzen und körperorientierte Therapien in deinen Heilungsprozess einzubeziehen.

Ich bin überzeugt davon, dass nicht nur jeder einzelne, sondern unsere Gesellschaft insgesamt davon profitierte, verarbeiteten mehr Menschen ihre emotionalen Verletzungen.

Der israelische Autor Dror Mishani bringt das auf den Punkt indem er die Frage stellte, was wäre, wenn Israel nach dem 7. Oktober nicht militärisch reagiert hätte, sondern erstmal in Ruhe um seine Toten getrauert und dann lange nachgedacht hätte?

Würde dich ein Buch zu diesem Thema interessieren? Ich freue mich, deine Gedanken dazu zu lesen!

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Stefanie Wittiber-Schmidt

Heilpraktikerin, Somatic Experiencing, Rolfing Strukturelle Integration, Integrale Somatische Psychologie

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2 Kommentare zu „Mein Sachbuch hieße: Trauma verstehen: Wege zur Heilung!“

  1. Liebe Stefanie,

    was für ein unglaublich interessantes Thema! Tausend Dank, dass du bei meiner Blogparade mitgemacht hast. Allein für diesen Beitrag hat sie sich schon gelohnt. Ich danke dir für diesen tiefen, ausführlichen & fundierten Einblick. Ich nehme so viel schon aus diesem kurzen Artikel mit, da stecken schon so viel Inhalt und Substanz drin.

    Zum Thema generationenübergreifendes Trauma habe ich schon einiges gelesen. Mich fasziniert daran vor allem, dass und wie so etwas biologisch möglich ist, wo und wie die Informationen gespeichert und weitergegeben werden.

    Danke auch für deine Schlussfrage und die Anregung, darüber nachzudenken, dass man Traumata durchbrechen kann oder sogar muss.

    Freue mich, noch mehr von dir zu lesen. Am liebsten dein Buch 😊

    Viele liebe Grüße, Eva

    1. Avatar-Foto
      Stefanie Wittiber-Schmidt

      Liebe Eva,
      herzlichen Dank für dein wertschätzendes Feedback! In welcher biologischen Struktur genau Informationen weitergegeben werden, kann ich auch nicht sagen. Vermutlich gibt es nicht nur die eine. Ein Gedanke ist ja, dass in deiner Mutter bereits alle Eizellen (aus denen du dich entwickelt hast) angelegt waren, als sie noch Embryo im Bauch deiner Oma war. Somit hast du Erfahrungen deiner Oma geteilt. 🙂 Es ist faszinierend, wie du sagst.
      Wer weiß, vielleicht schreibe ich wirklich mal ein Buch, danke auf jeden Fall für die Anregung.
      Herzliche Grüße Stefanie

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