„Ich habe das alles verstanden, nur mein Körper kommt nicht hinterher.“ Geht es dir auch so, wie vielen meiner PatientInnen? Hast du Therapieerfahrung, jedoch den Körper bisher kaum mit einbezogen? Möchtest du das ändern, weißt aber nicht so genau, was du dir unter „körperorientierter Traumatherapie“ vorstellen sollst? Wie läuft so eine Sitzung in Somatic Experiencing ab? Darüber möchte ich dir in diesem Beitrag ein bisschen mehr erzählen.
Somatic Experiencing: Sicherheit wieder erlebbar machen
Traumatische Erfahrungen verändern dein autonomes Nervensystem. Das wappnet sich immer noch für eine Gefahr, die längst vorüber ist. Kognitives Verstehen reicht nicht aus, um das zu verändern. Über deinen Körper kannst du jedoch mit deinem Nervensystem kommunizieren, um gezielt Momente von mehr Sicherheit einzuladen und wahrzunehmen.
Zu erfahren, dass du schwierige Emotionen und Empfindungen tolerieren und halten kannst, und dass sie vorübergehen, ist ein großer Schritt auf deinem Heilungsweg. Je mehr Kapazität du dafür entwickelst, desto weniger musst du Emotionen und Körperempfindungen wegdrücken. So lernst du, in Kontakt mit dem Vergangenen zu sein und gleichzeitig präsent in der Gegenwart zu bleiben.
Der Schlüssel zur Traumabewältigung ist nicht, das Trauma wieder zu erleben, sondern neue Erfahrungen im Körper zu schaffen.
Peter Levine
Heilung im sicheren Miteinander
Wir Menschen sind Herdentiere. Wir fühlen uns wohl, wenn wir mit anderen sicher verbunden sind. Sicherheit im Miteinander senkt deine Stressreaktion und hilft deinem Körper in Balance zu kommen. Davon profitieren alle Organsysteme: deine Atmung, dein Herz-/Kreislaufsystem, deine Verdauung, dein Immunsystem u. s. w.
Deshalb spielt die Beziehung auch im therapeutischen Kontext eine wichtige Rolle. Wir müssen uns beide miteinander wohlfühlen.
In unseren Sitzungen ist Platz für alles, was du teilen möchtest, für deine Erfahrungen und deine Gefühle. Du hast so viel gehalten. Alle Emotionen dürfen da sein, ohne sie sofort zu beruhigen oder wegmachen zu wollen. Gesehen zu werden, wir sprechen hier auch von Validierung, dich richtig zu fühlen, besänftigt und beruhigt dein autonomes Nervensystem.
Du behältst die Kontrolle. Du bestimmt, was du dir anschauen und wie tief du gehen möchtest.
…so much healing happens simply by being present, with flesh-and-blood people, with shared intention and safe connection.
(so viel Heilung geschieht einfach dadurch präsent zu sein, mit Menschen aus Fleisch und Blut, mit gemeinsamen Absichten und einer sicheren Verbindung.)
Karden Rabin
So geht’s los
In unseren Sitzungen möchte ich für dich einen möglichst sicheren Raum schaffen. Die ersten Minuten nutzen wir, um beide in der Sitzung anzukommen. Unsere Nervensysteme können sich da schon mal beschnuppern.
- Schau dich erstmal in Ruhe bei mir um. Bei Online-Sitzungen mach das gerne ebenso da, wo du gerade bist.
- Trink einen Schluck Wasser, wenn du magst.
- Vielleicht möchtest du dich bewegen: die Schultern kreisen lassen oder dich ein bisschen einruckeln auf dem Stuhl.
- Du kannst auch überprüfen, ob sich der Abstand zwischen uns gut anfühlt oder ob du deinen Stuhl ein wenig verschieben möchtest.
Was wünschst du dir von unseren Sitzungen?
Zu Beginn klären wir, was du dir wünschst. Was soll sich verändern? Woran wirst du merken, dass unsere Arbeit erfolgreich war? KlientInnen sagen beispielsweise „Ich möchte ruhiger werden und meine innere Anspannung loswerden“ oder „ich möchte mich mit meinen Gefühlen weniger identifizieren“ oder „Ich möchte äußern können, was ich möchte“.
Und wenn dieser Wunsch in Erfüllung ginge, wie sähe dein Leben dann aus? Je konkreter du dir das ausmalen kannst, umso besser. Was erlebst du, während du dir das jetzt vorstellst? Wie nimmst du deinen Körper wahr? Welche Emotion ist da? Welche Bilder?
Diese Fragen sind auf Anhieb oft gar nicht so leicht zu beantworten. Trauma verändert dein Denken und zieht deinen Geist immer wieder in die Vergangenheit. Deine Ziele klar zu formulieren und dir vorstellen, wie das dann wäre, verbindet dich mit deiner Lebensenergie und die wollen wir stärken.
Mit Hilfe der Imagination können wir uns neue Möglichkeiten vorstellen; sie ist eine wichtige Voraussetzung für die Verwirklichung unserer Hoffnungen.
Bessel van der Kolk
Die Prinzipien von Somatic Experiencing
Körperorientiert arbeiten bedeutet nicht zwangsläufig, dass wir mit Berührung arbeiten. Berührung ist möglich, aber kein Muss.
Körperorientiert arbeiten bedeutet, den Fokus vermehrt auf das Fühlen von Emotionen und das Spüren von Körperempfindungen zu lenken. Die meisten von uns sind besser darin über ein Thema zu sprechen, als nachzuspüren, was das mit uns macht. Fühlst du deine Trauer, deinen Ärger, deine Verletztheit oder deine Beschämung? Spürst du, dass deine Atmung flach wird und dein Körper sich anspannt? Je mehr du in deinen Gedanken bist, je mehr du auf der kognitiven Ebene unterwegs bist, desto weniger fühlst und spürst du. Es reicht nicht, über eine Emotion zu sprechen. Verarbeiten kannst du sie nur, wenn du dir erlaubst, sie auch zu fühlen und dabei deinen Körper wahrzunehmen.
Trotz aller Einsicht und allen Verständnisses, das wir entwickeln, ist der rationale Teil unseres Gehirns im Grunde nicht in der Lage, dem emotionalen Teil seine Sicht der Realität „auszureden“.
Bessel van der Kolk
Vielen KlientInnen fällt der Kontakt zum eigenen Körper sehr schwer. Manchmal ist der Körper kaum wahrnehmbar, manchmal fühlt er sich so unangenehm an, dass du da gar nicht hinspüren möchtest. Lass dich davon nicht entmutigen, du bist auf dem richtigen Weg!
Ressourcen verkörpern
Ressourcen sind ein wichtiger Bestandteil unserer Arbeit: Was hilft dir in deinem Alltag? Welche Menschen, Tiere, Erinnerungen, Orte, Hobbies oder Musik tun dir gut? Wie und wo tankst du auf?
Was nimmst du innerlich wahr, wenn du daran denkst? Hast du bemerkt, dass du gerade spontan tief durchgeatmet hast? Ist es in dir jetzt vielleicht ein bisschen ruhiger? Wo im Körper spürst du das?
Indem du Ressourcen verkörperst, hilfst du deinem Nervensystem, bewusst sichere Erfahrungen zu machen.
Verlangsamen und Pendeln
Der Gedanke, über all das Schlimme sprechen zu müssen, löst verständlicherweise Angst aus. Ich werde dich nicht bitten, mir genau zu erzählen, was geschehen ist. Im Gegenteil, ich werde dich immer wieder unterbrechen, damit du nicht durch dein Erzählen die gleiche Überwältigung erneut erleben musst.
Ein Trauma hat viele Facetten. Wir arbeiten nicht mit dem ganzen Geschehen, sondern jeweils mit einem konkreten Aspekt. Das gilt sowohl für Schocktrauma als auch für Entwicklungstrauma.
Das heißt beispielsweise, wir gehen nicht sofort zum eigentlichen Unfallgeschehen, sondern tasten uns langsam ran. Oder wir arbeiten mit einer aktuellen Situation, die schwierig ist, weil sie Erinnerungen an deine Kindheit triggert. Beispielsweise einer beruflichen Herausforderung, die dich mit deiner alten Angst, nicht gut genug zu sein, konfrontiert.
Wird es zu schwierig, lenken wir die Aufmerksamkeit zurück auf eine Ressource. Trauma hält dich in der Anspannung. Bewusstes Pendeln zwischen An- und Entspannung hilft deinem Nervensystem diese Flexibilität wieder für sich zu entdecken.
Entladen und Vollenden
Während du deinen Körperempfindungen nachspürst und beobachtest, wie sie sich verändern, wirst du erleben, dass sich gehaltene Spannung im Körper entlädt. Das erkennst zu bespielsweise an einem Kribbeln, einem tiefen Atemzug oder daran, dass du gähnen musst. Ebenso wie Tiere in freier Wildbahn sind wir Menschen in der Lage, traumatischen Stress zu entladen.
Neben Entladung ist die Vollendung ein zentrales Prinzip von Somatic Experiencing. Was kannst du heute tun, was damals nicht möglich war? Was wäre hilfreich gewesen? Ein Ereignis im Nachhinein zu einem guten Ende zu führen, hilft deinem Nervensystemm zu verstehen, dass das was Geschehen ist der Vergangenheit angehört. Ein kleines Beispiel, wie das aussehen kann, liest du hier.
Somatic Experiencing: Sicherheit für dein autonomes Nervensystem
Körperorientierte Traumatherapie hilft dir auf einer tiefern Ebene zu verstehen, dass die Gefahr vorüber ist und du jetzt in Sicherheit bist. Dann muss dein Körper nicht ständig eine neue Stressreaktion initiieren und du kannst zur Ruhe kommen. Dadurch können sich auch Symptome nachhaltig verbessern.
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