Fingerpflaster aufkleben als Symbol für Unfall verarbeiten

Unfall verarbeiten und Trauma überwinden: Der Weg zur Heilung mit Somatic Experiencing

Ein Unfall kann leicht zu einer traumatischen Erfahrung werden. Hier erfährst du, woran du ein Trauma erkennst und was bei der Verarbeitung hilft.

Am Beipiel eines Verkehrsunfalls erklärt, erfährst du in diesem Blogartikel, wieso sich nach einem Unfall eine Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) entwickeln kann und welche Symptome darauf hinweisen. Wenn du selbst unter den traumatischen Folgen eines Unfalls leidest, interessiert dich vermutlich, wie eine Verarbeitung mit der körperorientierten Traumatherapie Somatic Experiencing (SE) aussehen könnte. SE ist ein sanfter Ansatz, der dich behutsam durch den Prozess leitet. Eine Aufarbeitung ist jederzeit möglich.

Ein Verkehrsunfall ist ein einschneidendes Ereignis. Selbst wenn du körperlich nur leicht oder gar nicht verletzt wurdest, ist er mit großem Schreck und (Todes-) Angst verbunden. Ein Unfall passiert so wahnsinnig schnell, dass du keine Zeit hast angemessen zu reagieren. Schmerzen, Geräusche von Metall auf Metall, die urplötzliche Veränderung deiner Position in der Schwerkraft, all das muss von deinem Gehirn und von deinem Körper verarbeitet werden. Die Verletzungen und das Leid anderer Beteiligter mit ansehen zu müssen, ist ebenfalls eine sehr große Belastung.

Als Folge dieser Ereignisse kann sich eine posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) entwickeln. Manchmal zeigen sich entsprechende Symptome erst Monate nach dem Unfall, so dass du sie erstmal gar nicht damit in Verbindung bringst. Die Anzeichen für eine PTBS sind vielfältig und können sich körperlich, emotional oder auf der Verhaltensebene bemerkbar machen.

Wie du Traumasymptome nach einem Unfall klar erkennen kannst

Nach einiger Zeit sind deine körperlichen Verletzungen zwar verheilt, es geht dir aber nicht gut? Eine Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) nach einem Unfall zu entwickeln ist gar nicht so selten und ist kein Zeichen von Schwäche.

Mögliche körperliche Symptome einer PTBS

  • Wollen deine Schmerzen nicht besser werden, obwohl die Wunden verheilt sind?
  • Kommen neue Symptome wie Kopf- oder Rückenschmerzen oder Schwindel hinzu?
  • Wandern deine Schmerzen?
  • Schläfst du schlecht und hast Albträume?
  • Erlebst du Flashbacks, d. h. unwillkürlich tauchen Erinnerungsfetzen in Form von Bildern oder Geräuschen an den Unfall auf?
  • Fängt dein Herz an zu rasen, hältst du die Luft an oder bricht dir der kalte Schweiß aus, wenn du an den Unfall denkst?

Mögliche emotionale Symptome einer PTBS

  • Fühlst du dich anders als vor dem Unfall, nicht mehr wie du selbst?
  • Hast du jetzt Angst vorm Autofahren?
  • Bist du insgesamt weniger belastbar?
  • Fällt dir auf, dass du sehr dünnhäutig geworden bist? Möglicherweise bist du ungeduldig und schnell gereizt, oder du weinst viel?
  • Signalisiert dir dein Umfeld, nun müsse es doch langsam mal gut sein und schämst du dich für deine vermeintliche Schwäche?
  • Schämst du dich, weil du nicht verstehst, wieso du nicht weiterhin normal funktionieren kannst, schließlich ist ja „alles gut gegangen“?
  • Quälen dich Schuldgefühle?

Möglich Symptome einer PTBS auf Verhaltensebene

  • Vermeidest Du es Auto zu fahren?
  • Vermeidest du die Unfallstelle und wählst lieber alternative Routen, auch wenn sie ein Umweg sind?
  • Ziehst du dich von Freunden oder Familie zurück und verlierst Spaß an Dingen, die dir früher Freude bereitet haben?
  • Lenkst du dich ab, um nicht an den Unfall denken zu müssen, mit Alkohol beispielsweise?
  • Bist du unkonzentriert bei der Arbeit?
  • Bist du unsicher in deinen Bewegungen geworden, d. h. stolperst du schnell oder stößt dich?

All das sind mögliche Folgen eines Unfalls, die mir in der Praxis immer wieder begegnen und die sich verändern können, wenn das zugrunde liegende Trauma aufgelöst wird.

Wann ist der richtige Zeitpunkt, das Trauma eines Unfalls zu verarbeiten?

Zuallererst ist es wichtig, dass du dich von deinen körperlichen Verletzungen erholst. Die seelische Aufarbeitung eines Unfalls kann herausfordernd sein, weil du leider nicht umhin kommst, dich mit der Angst auseinandersetzen, die du in dem Moment empfunden hast. Auch wenn wir das sehr kleinschrittig machen – erstmal brauchst du alle Kraft, um physisch zu genesen.

Unfall verarbeiten: eine Hand klebt ein Pflaster auf einen Finger der anderen Hand
zuerst körperliche Verletzungen heilen; Foto: unsplash.com, Diana Polekhina

Wenn deine körperlichen Wunden verheilt sind, kannst du dich der emotionalen Heilung zuwenden. Der Zeitpunkt dafür ist dann richtig, wenn du dich bereit fühlst. Sich solch tiefgreifenden Erfahrungen zuzuwenden ist alles andere als einfach.

Im Augenblick arbeite ich mit einer Klientin, die vor über 30 Jahren einen schweren Autounfall hatte. Selbst nach all der Zeit reagiert ihr Körper mit Stresssymptomen, wenn sie daran denkt. Es gibt kein zeitliches Limit, um mit feststeckender Traumaenergie zu arbeiten.

Wie reagiert dein autonomes Nervensystem auf ein Schocktrauma?

Was ist ein Schocktrauma?

Ein Unfall kann ein sogenanntes Schocktrauma verursachen. Von einem Schocktrauma sprechen wir, wenn zu viel, zu schnell, zu plötzlich passiert und dich völlig überwältigt.

Dabei ist nicht das Ereignis selbst das Trauma, sondern das, was als Folge dieses Ereignisses in deinem Körper, in deinem Nervensystem passiert. Es kann durchaus sein, dass zwei Menschen im gleichen Unfallwagen sitzen, aber nur einer von ihnen entwickelt eine posttraumatische Belastungsstörung. Das Trauma ist also nicht der Unfall an sich, sondern das, was der Unfall in deinem Nervensystem auslöst. Dabei können Vorerfahrungen eine Rolle spielen. Wenn du beispielsweise früher schon einmal einen Unfall erlebt hast, kann sich dein Nervensystem wegen dieser früheren Erfahrung stärker bedroht fühlen.

Was passiert bei einem Trauma in deinem Körper?

Dein autonomes Nervensystem überprüft ständig und ohne, dass dir das bewusst ist, deine Umgebung auf Hinweise für Sicherheit oder Gefahr. Das nennt man Neurozeption. Lautet das Ergebnis der Überprüfung „Bedrohung“, initiiert dein Reptiliengehirn eine Stressreaktion. Blitzschnell wirst du mit Energie versorgt, damit du dich durch Kampf oder Flucht retten kannst. Gelingen dir Kampf oder Flucht, beruhigt sich dein Nervensystem wieder und das Ereignis wird ohne große Folgen verarbeitet.

Ein Unfall passiert so schnell, dass du keine Zeit hast, angemessen zu reagieren. Häufig registriert dein Nervensystem jedoch Sekundenbruchteile vor dem Aufprall „Gefahr“, kommt dann nur nicht mehr dazu, eine lebensrettende Reaktion durch Ausweichen oder Abbremsen zu initiieren. Nichtsdestrotrotz gab es den Impuls dazu und diese nicht beendete Verteidigungsreaktion bleibt in deinem Körper stecken. Daran hast du keine bewusste Erinnerung, aber dein Körper erinnert sich und er wähnt sich weiterhin in Gefahr.

Tage, Wochen oder Monate später verstehst du natürlich kognitiv, dass das Ereignis vorüber ist und dass du den Unfall überlebt hast. Dein Körper versteht das aber nicht unbedingt und kommt nicht zur Ruhe. Der fühlt sich weiterhin bedroht, als käme das Auto gerade in diesem Moment um die Ecke. Dein Körper bleibt in einem Gefühl von Gefahr und Bedrohung stecken und wechselt zwischen großer Anspannung und Unruhe oder Betäubung und Erstarrung.

Wie kann dir Somatic Experiencing (SE) nach einem Unfall helfen?

SE ist sehr hilfreich nach einem Schocktrauma. Es geht in der Arbeit weniger um kognitive Erkenntnisse, als um Kommunikation mit deinem Reptiliengehirn. Diese Kommunikation verläuft über Körperempfindungen und ermöglicht deinem Körper zu verstehen, dass du überlebt hast und jetzt in Sicherheit bist. Möglich wird das durch verkörperte Erfahrungen von Sicherheit und Entladung gespeicherter Stressenergie.

Ein Prinzip der Arbeit mit Somatic Experiencing ist Pendeln. Dein Körper hat einen natürlichen inneren Rhythmus von wechselnder An- und Entspannung hat. So wie du ein- und ausatmest, schläfst und wach bist, pendelt auch ein flexibles Nervensystem zwischen Zusammenziehen und Ausdehnung, zwischen Anspannung und Entspannung. Dieser Rhythmus wird im Trauma unterbrochen. Schwierig ist nicht, dass dein Körper in eine Kontraktion oder Anspannung geht, schwierig wird es, wenn er nicht mehr zurückfindet in die Entspannung .

Um diese Pendelbewegung wieder einzuladen, nutzen wir Ressourcen. Eine Ressource ist etwas, das dir hilft, dich gut zu fühlen. Grundsätzlich können das Hobbies sein, Freunde und Familie oder die Natur.

Bezogen auf den Unfall könnte ich dich fragen: Was war der erste Moment nach dem Unfall, in dem du dich wieder etwas sicherer gefühlt hast? Das kann sein, als eine freundliche Ersthelfer*in deine Hand gehalten hat, als der Krankenwagen kam oder dein*e Partner*in. Ich könnte dich bitten, diesen Moment ein bisschen genauer zu beschreiben und dich dann fragen „Was nimmst du jetzt in deinem Körper wahr?“ Viele Klient*innen berichten, sie verspürten Erleichterung, etwas weniger Enge im Brustkorb oder sie könnten besser atmen.

Das sind Zeichen dafür, dass dein Nervensystem ein wenig Spannung entladen hat. Zu spüren, dass der Körper aus der hohen Anspannung herauskommen kann und wieder eine (leichte) Entspannung möglich ist, ist für viele meiner Klient*innen eine wichtige und manchmal ganz neue Erfahrung. Das bleibt eine Ressource für den weiteren Prozess.

Viele Menschen sind es gewohnt, ihre Geschichte sofort zu erzählen. Da würde ich dich unterbrechen. Somatic Experiencing ist kein kathartischer oder Expositions-Ansatz, im Gegenteil! Dein Nervensystem ist bereits in Hochspannung. Ich möchte es nicht weiter antreiben, sondern ihm helfen, neue Erfahrungen von – relativer – Sicherheit zu machen und dadurch die Hochspannung langsam abzubauen. Deine Geschichte in der ersten Sitzung direkt vollständig zu erzählen, würde nicht zur Beruhigung beitragen. Im Gegenteil, sie ließe dich den Unfallstress erneut erleben. Wir arbeiten Schritt für Schritt.

Da ein Unfall so unglaublich schnell geschieht, ist Verlangsamung ein weiteres, entscheidendes Prinzip von SE. Es geht darum, den Unfallhergang so zu dekonstruieren, dass dein Nervensystem nachträglich jede Sequenz verarbeiten kann. Du kannst dir das so vorstellen, als schauten wir Szene für Szene einen Films. Dabei betätigen wir immer wieder die Pausentaste und arbeiten mit der Aufregung, die in der jeweiligen Szene gebunden ist.

Nähern wir uns dem Moment des Aufpralls, halten wir den Film wieder an. Das andere Auto bleibt dadurch eingefroren in sicherer Entfernung stehen. Wenn du dich dem Augenblick zuwendest, was erlebst du dann? Spürst du vielleicht einen Impuls deines Körpers? Einen Impuls sich zu drehen oder deine Gliedmaßen zu bewegen? Oder kommt dir in diesem Moment der Verbindung ein lebensrettender Gedanke? Vielleicht wünschtest du, wie Superwoman über das Auto hinwegfliegen zu können, wie es bei einer Klientin der Fall war?

Dir diese rettende Aktion nachträglich vorzustellen und zu verkörpern, hilft deinem Nervensystem zu verstehen, dass die Bedrohung tatsächlich vorüber ist. Wenn dein inneres Gefühl von Sicherheit wieder hergestellt ist, können sich auch Symptome verändern oder ganz nachlassen.

Fazit: Einen Unfall grundlegend verarbeiten ist jederzeit möglich!

Ein Unfall ist ein großer Schreck. Er passiert so schnell, dass dein Körper keine Gelegenheit hat, dieses Ereignis tatsächlich zu „verdauen“. Da bleibt etwas unvollendet und löst ein diffuses Gefühl von Bedrohung aus, dass nicht verschwinden will. Eine Posttraumatischen Belastungsstörung kann sich in einer Vielzahl von Symptomen ausdrücken, die oft erst mit zeitlicher Verzögerung einsetzen. Somatic Experiencing (SE) ist eine sanfte Methode, deinem Nervensystem zu vermitteln, dass du überlebt hast.

Ich freue mich, wenn dieser Beitrag hilfreich für dich ist. Die grundlegenden Prinzipen der Behandlung eines Verkehrsunfalls, treffen ebenso auf andere Unfälle zu: Stürze im Haushalt oder Sportverletzungen beispielsweise. Falls du Fragen hast oder ein Unfalltrauma mit mir aufarbeiten möchtest, vereinbare ein Kennenlerngespräch. Gerne helfe ich dir, dich behutsam und in deinem Tempo diesem Ereignis zu nähern und es zu verarbeiten.

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Stefanie Wittiber-Schmidt

Heilpraktikerin, Somatic Experiencing, Rolfing Strukturelle Integration, Integrale Somatische Psychologie

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